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Gemeinde Schefflenz (Druckversion)

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Gedenksteinenthüllung und Gedenkfeier zur Vertreibung der Ungarndeutschen in Agendorf vor 70 Jahren

Delegation aus Schefflenz und Agendorf
Delegation aus Schefflenz und Agendorf

Pressebericht von Michael Böhm:

Am 8. Mai 1945 war der Zweite Weltkrieg zu Ende. Man hoffte in der ganzen Welt, dass nun der langersehnte Frieden endlich einkehren möge. Vor allem hoffte man auf eine Normalisierung des Lebens in den Städten und Gemeinden; hat doch der Krieg sehr viel Unheil, Not und Elend hervorgerufen.
Auch in Agendorf wollte man wieder in ein geordnetes Leben zurückkehren. Leider kam es für die meisten Agendorfer ganz anders und zum Teil noch viel schrecklicher, als der Kriegsverlauf sich in den Jahren zuvor dargestellt hatte. Die damalige ungarische Regierung stellte während der Potsdamer Konferenz, 17 Juli bis 2. August 1945, bei den Siegermächten einen Antrag auf Aussiedlung der ungarndeutschen Bevölkerung aus den deutschen Siedlungsgebieten in Ungarn. Dazu gaben die Alliierten ihr Zugeständnis. Der “Alliierte Kontrollrat ermächtigte am 2. August 1945 die ungarische Regierung, die Aussiedlung geordnet und human durchzuführen. Am 22. Dezember 1945 wurde in einer Sondersitzung des ungarischen Ministerrates der endgültige Entwurf der Verordnung über die Aussiedlung formuliert und am 4. Januar 1946 die Aussiedlungsverordnung erlassen.
Bereits am 19. Januar 1946 erfolgte die erste Deportation so genannter Schwaben aus Budaörs, der größten ungarndeutschen Siedlung, einem Vorort von Budapest.
In Agendorf wurde mit der Vertreibung der deutschen Bevölkerung am 15. April 1946 begonnen. In zwei Transporten, 15. und 18. April wurden insgesamt 1094 Personen ausgesiedelt. Dies waren etwa 70% der Bevölkerung von Agendorf. Leider war diese Aussiedlung alles andere als human und geordnet, wie es von den Alliierten vorgesehen war. Staatenlos, entrechtet, und von Hab und Gut enteignet, standen damals die ungarndeutschen Agendorfer, mit 50kg Gepäck pro Person, am 15. Und 18. April  am Bahnhof zum Abtransport nach Irgendwo bereit.

Zur 70. Wiederkehr dieses schrecklichen Ereignisses, hat in der ungarischen Gemeinde Agendorf am 16. April 2016 eine Gedenkfeier stattgefunden. Dazu war eine Abordnung aus der Partnergemeinde Schefflenz, in Begleitung von Bürgermeister Rainer Houck nach Agendorf angereist.
Am Samstag, den 16. April wurde am Nachmittag zunächst ein Gedenkstein in der Nähe des Adendorfer Bahnhofes enthüllt. Auf dem Stein sind zwei Fotos eingelassen, auf denen Viehwagen mit Personen, kurz vor Fahrtbeginn ins Ungewisse zu sehen sind. Die abgebildeten Personen haben im Neckar-Odenwald-Kreis eine neue Heimat gefunden. Der Gedenkstein soll an den Abtransport der ungarndeutschen Bürgerinnen und Bürger vor 70 Jahren erinnern. Bevor Dr.Tamás Fabiny, dem Bischof der Norddiözese der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Ungarn und der katholische Pfarrer von Agendorf, Attila Németh,  die Weihe des Gedenksteines vorgenommen haben, wurden Grußworte, Worte des Gedenkens des Vergebens und des Erinnern, vom evangelischen Pfarrerehepaar Heinrichs, der Bürgermeisterin von Agendorf, Susanna Pék und vom Schefflenzer Bürgermeister Rainer Houck, an  die etwa 350-400 Anwesenden gerichtet. Dabei haben es alle Redner für schrecklich gefunden und auf das schärfste verurteilt, was damals nach dem Krieg auf ungarischem Boden stattgefunden hat.


Nach der Weihe des Gedenksteines ging man gemeinsam in einem Schweigemarsch und unter dem Geläut der Glocken zum ökumenischen Gottesdienst in der evangelischen Kirche. Der Gottesdienst hat begonnen mit dem Abspielen der ungarischen Hymne, gefolgt von der Hymne der Ungarndeutschen. Danach begrüßte Frau Pfarrerin Ester Heinrichs die Kirchengemeinde und die Gäste in der vollbesetzten Kirche. Eine Schülerin hat anschließend ein ergreifendes Gedicht zum Thema Heimat vorgetragen. Der Vorsitzende der Adendorfer Deutschen Selbstverwaltung Johann Skala ging in Prosaform auf das Leben der Ungarndeutschen , vom Verlassen der Urheimat Deutschland, über  die Ansiedlung in der neuen Heimat Ungarn, das gute Zusammenleben mit den Magyaren und schließlich der Vertreibung  von 1946, ein.
Die Predigt selbst wurde gehalten vom Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche von Ungarn, Dr. Tamás Fabiny. Auch die Predigt stand unter der Überschrift Heimat. Dabei ging es um die Werte und den Verlust der Heimat und um das Finden einer zweiten Heimat, am Beispiel der Heimatvertriebenen. Musikalisch umrahmt wurde der Gedenkgottesdienst von der Musikkapelle Agendorf und vom Adendorfer Gesangverein Morgenröte.


Nach dem Gottesdienst haben sich alle Gottesdienstbesucher vor der Kirche auf dem Lutherplatz versammelt. Dort am Ehrenmal der Vertriebenen, welches schon vor 20 Jahren zum Gedenken der Vertreibung errichtet wurde,  hat noch der Vorsitzende des Ödenburger Kulturvereins der Stadt Bad Wimpfen, Sigfried Dries, eine Gedenkrede gehalten. Danach wurden Kränze und Blumengebinde am Ehrenmal der Vertriebenen von folgenden Abordnungen niedergelegt:
  Gemeindeverwaltung Agendorf,
  Deutsche Selbstverwaltung Agendorf, 
  Vizepräsident der Vollversammlung des Komitats Raab-Ödenburg-Wieselburg,
  Gemeinde Schefflenz
  Kulturverein Bad Wimpfen
  Wandorfer aus Mosbach und Schwäbisch Gmünd
  Deutsche Selbstverwaltung des XVII. Bezirkes in Budapest
  Grundschule Agendorf
  Kindergarten Agendorf
  Evangelische Kirchengemeinde Agendorf
  Verein der Senioren Agendorf
  Familie Hollósi und Hartner ,Agendorf
  Familie Pinezits, Agendof


Nach diesem feierlichen Akt hat die evangelische Kirchengemeinde zu einem Empfang im Pfarrhof eingeladen. Bei Gulasch, Rotwein, Kaffee und Kuchen fand dieser denkwürdige und tief beeindruckende Nachmittag für die Allgemeinheit einen harmonischen Ausklang.
Am Abend wurde noch für die Gäste aus Schefflenz, in der Schule von Agendorf, ein Abend des gemütlichen Beisammenseins veranstaltet. Dabei wurden Tanzvorführungen der Volkstanzgruppe dargeboten. Bürgermeister Rainer Houck überreicht bei dieser Gelegenheit auch die mitgebrachten Gastgeschenke für Gemeindeverwaltung, Schule und der Deutschen Selbstverwaltung. Bei guter Unterhaltung, Musik und Tanz ließ man auch diesen schönen gemeinsamen Abend bei den ungarischen Freunden ausklingen.
Am Sonntagmorgen, nach einem reichhaltigen und guten Frühstück, verabschiedete sich die Delegation aus Schefflenz von den Gastgebern der Partnergemeinde Agendorf und musste leider wieder die Heimreise antreten. Gegen 19:30 Uhr ist die Reisegruppe mit ergreifenden aber auch freudigen Eindrücken in Schefflenz angekommen.

Hier ein Auszug aus der Rede von Bürgermeister Rainer Houck: Zum 70. Jahrestag der Vertreibung haben wir uns hier versammelt, um dem Leid zu gedenken uns es Mahnung sein lassen für unser eigenes Denken und Handeln, aber auch als Zeichen für eine bessere gemeinsame Zukunft. Als Bürgermeister der deutschen Partnergemeinde Agendorf ist es mir eine besondere Ehre, hier sprechen zu können; haben doch 50 Menschen, die vor 70 Jahren hier in Agendorf ihre Heimat verloren haben, bei uns in Schefflenz ein neues Zuhause gefunden. Hier am Bahnhof von Agendorf wurden viele Menschen gezwungen, ihre Heimat zu verlassen und mit Güterzügen in die Fremde aufzubrechen. Das war eine Fahrt ins Irgendwo: eine ungewisse Zukunft, zu unbekannten Menschen und in ein fremdes Land. Mit dem Beginn dieser Fahrt hat man seine Heimat verloren, Familien wurden auseinandergerissen und Freunde getrennt. Wie viel Verzweiflung und Angst muss jeder Vertriebene wohl damals als Reisegepäck mit sich getragen haben? Viele der damaligen Zeitzeugen sind leider nicht mehr unter uns. Aber deren Erzählungen und Berichte leben weiter, indem wir uns so wie heute zum Andenken an die damalige gemeinsam erinnern. Die nachfolgenden Generationen haben außerdem die Verantwortung, die Lehren aus Vergangenheit zu ziehen. So sind gerade in der heutigen Zeit, in der mehr Menschen denn je auf der Flucht vor Krieg und Gewalt sind, die Themen Flucht und Vertreibung wieder höchst aktuell. Stand in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg der Aufbau einer neuen wirtschaftlichen Zukunft im Vordergrund, ist es doch gerade auch mit der Tatkraft der neuen Mitbürger bei uns in Schefflenz gelungen, die Heimat oder eben die neue Heimat aufzubauen und die Grundlage der wirtschaftlichen Sicherheit mit einem bescheidenen Wohlstand zu schaffen. Dabei konnte man auf ein gemeinsames Fundament von Werten, aber auch auf die gemeinsame schreckliche Geschichte von Leid, Not und Verlust aufbauen. Im geschichtlichen Rückblick beeindruckt mich die unbeschreibliche Integrationsleistung dieser Menschen, war doch weit über ein Drittel der Bevölkerung neu in die dörfliche Gemeinschaft dazugekommen. Ein neues Zuhause haben in Schefflenz viele Menschen gefunden, vergessen haben sie ihre alte Heimat aber nicht. Dies dazu von Bürgermeister Houck.

Einweihung des Gedenksteins
Einweihung des Gedenksteins
Gedenktafel am Stein
Gedenktafel am Stein
Rede von Bürgermeister Houck
Rede von Bürgermeister Houck
Schweigemarsch zum Gottesdienst
Schweigemarsch zum Gottesdienst
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